Leserbrief zu Zivilcourage 3/2016 (Sept. 2016)

Nur mal kurz die Welt retten

Leserbrief zu Zivilcourage 3/2016

Bezwinge sich, wer kann.

In der Leserbriefrubrik in Zivilcourage 3/2016 äußert sich Titus Sobisch sehr ausführlich zum Thema „links oder rechts“, obwohl er meint, diese Diskussion würde uns nicht weiterbringen. Das trifft für sein Gutachten allerdings zu!

„Militante Pazifisten kann es nicht geben“, meint er. Dabei ist er selber einer, versucht es zumindest. In den 60er Jahren bin ich Leuten begegnet, die sich „militante Pazifisten“ nannten und in jeder Lage, sogar in einer Notwehrsituation keine Gewalt anwenden würden. Auch das Attentat auf Hitler mißbilligten sie. Dem kommt Titus Sobisch doch selbst recht nahe. „Militant“ heißt nichts anderes als offensiv, kämpferisch, entschieden. Aber das klingt so ähnlich wie „Militär“. Assoziationen, die durch akustische Reize ausgelöst werden, ersetzen hier das Wissen.

So meint er: „Als Kämpfer für die Weltrevolution sieht man den Rest der Bevölkerung eindeutig rechts.“ Das ist eindeutig Quatsch.

Mit CDU-Wählern, die „nur“ gegen den Afghanistankrieg sind, aber die gegenwärtige Gesellschaftsstruktur für die bestmögliche halten, hat dieser Pazifist weniger Probleme als mit Leuten, die gegen Kriegstreiber auf die Straße gehen, aber den Zugverkehr lahmlegen.

Bumm oder nicht bumm, das ist hier die Frage – für ihn die einzige. Hoffentlich lobt er nicht Hitler für das Münchener Abkommen, und hoffentlich verdammt er nicht die Rotarmisten, weil sie bei der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz mit Schußwaffen ausgerüstet waren.

Über den Zusammenhang zwischen Gesellschaftsordnung und Kriegsursachen haben kluge Männer und Frauen viel kluge Gedanken geäußert, mit denen man sich ruhig vertraut machen darf. Schade, daß für jede Generation das Fahrrad neu erfunden werden muß.

Daß „Esoterik rechts sei“ hat zwar niemand so behauptet. In deduktiver Begrifflichkeitshuberei, die mal wieder jegliches Wissen ersetzen soll, stellt er fest, daß sowohl rechte, als auch linke Leute sich manchmal unverständlich ausdrücken. Wäre es nicht nützlicher, sich über das zu informieren, was Leute, die sich damit auskennen, über die Esoterik-Szene als Einfallstor für faschistische Ideologie und Metapolitik erforscht haben?

Titus Sobisch trägt nichts zur Klärung bei. Stattdessen breitet er das Selbstbewußtsein der Minderinformierten aus.

In einer Zeit, in der Rechtspopulisten das Gesicht dieser Gesellschaft verändern und beträchtliche Bevölkeungsanteile mit ihren Haßpredigten gewinnen, behauptet ein Unwissenheitsprediger, wir hätten „eigentlich andere Probleme“. Nein. Im Falle der Desorientierung ist das Problem: die Orientierung.

Wer behauptet, die Orientierungen „links“ und „rechts“ seien unwichtig, überholt, unbrauchbar, der will Verwirrung stiften oder hat sich verwirren lassen.

Das ist die Lektion des 20. Jahrhunderts: Der Pazifismus muß antifaschistisch, also links sein.

Unterdessen will Thomas Carl Schwoerer nur mal kurz die Welt retten. Mit IS sollte verhandelt werden, schlägt er vor. Begründung, kurz gefaßt: Verhandeln ist besser als nicht verhandeln. Dabei offenbart er mangelnden Überblick über Fakten und Zusammenhänge.

Solange verhandelt wird, wird nicht geschossen, glaubt er. Auf Vietnam sind während der Pariser Friedensverhandlungen mehr Bomben abgeworfen worden als auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg.

Die Ostpolitik Willy Brandts lobt er. Es müßte aber auch eingestanden werden, daß zuvor die „Politik der Stärke“ zum Scheitern gebracht wurde. Willy Brandt hätte gar nicht „mehr Demokratie wagen“ können, wenn die Ostlandreiter weiterhin so hätten wüten können wie bis zum 13. August 1961 und wieder seit dem 9. November 1989. Das, was Schwoerer als „gewaltfreie Revolution in der DDR“ euphemisiert, hatte zur Folge, daß Deutschland nicht länger daran gehindert war, die europäische Ordnung aus eigener Kraft aus den Angeln zu heben, Belgrad zu bombardieren und in Kiew die Nachfolger der Nazi-Kollaborateure wieder für sich marschieren zu lassen.

Thomas Schwoerer ist nicht richtig informiert, wenn er meint, auch Nelson Mandela hätte zu den Politikern gehört, die „alles daransetzten, ihren Kampf gewaltfrei zu führen“. Der ANC führte einen bewaffneten Befreiungskampf. Das Apartheid-Regime bot Mandela an, ihn aus dem Gefängnis zu lassen, wenn er den ANC zur Gewaltlosigkeit aufruft. Das hat er nicht getan. Thomas Schwoerer tut es jetzt stellvertretend für ihn.

Historisch steht Nelson Mandela neben Che Guevara, Ho Tschi-minh und Patrice Lumumba. Thomas Schwoerer stellt ihn in eine Reihe mit Lech Walesa. Warum nicht gleich mit Franz-Josef Strauß?

In der Welt, die man retten will, sollte man sich auskennen.

Helmut Loeven, Duisburg [12.9.2016]

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